Salutogenese

In den letzten Jahren sind viele Rufe nach einem ressourcenorientierten und ganzheitlichen Gesundheitsverständnis laut geworden. Die Kritik am heutigen System der Gesundheitsversorgung richtet sich vor allem an die pathogenetische Betrachtungsweise. Dem biomedizinischen defizitärem Krankheitsmodell steht die Erweiterung durch ein biopsychosoziales Modell gegenüber. Diesem Ansatz liegt ein komplexer, mehrdimensionaler Gesundheitsbegriff zugrunde, der auch die Selbsthilfefähigkeit und Eigenverantwortlichkeit […]

In den letzten Jahren sind viele Rufe nach einem ressourcenorientierten und ganzheitlichen Gesundheitsverständnis laut geworden. Die Kritik am heutigen System der Gesundheitsversorgung richtet sich vor allem an die pathogenetische Betrachtungsweise. Dem biomedizinischen defizitärem Krankheitsmodell steht die Erweiterung durch ein biopsychosoziales Modell gegenüber.

Diesem Ansatz liegt ein komplexer, mehrdimensionaler Gesundheitsbegriff zugrunde, der auch die Selbsthilfefähigkeit und Eigenverantwortlichkeit von Menschen in den Vordergrund stellt. Herkömmliche Psychiatrie und Psychotherapie beziehen ihre Menschenbilder aus der Psychopathologie. Krankheiten und Störungen sind ihr Gegenstand. Das Ziel einer Behandlung liegt in der Beseitigung der Krankheit, vergleichbar mit der chirurgischen Entfernung eines kranken Organs. Dieser symptomorientierte Ansatz hat seine Wurzeln im reduktionistisch-mechanistischen Menschenbild des 17. Jahrhunderts und hat bis heute die Medizin nachhaltig beeinflusst.

Dieser Zeitgeist hat – neben anderen Modellen – , die von Aaran Antonovsky beschriebene Salutogenese hervorgebracht. Sie ist ein Beispiel für einen erweiterten Gesundheitsbegriff und soll nachfolgend in ihrer Beziehung zur Psychotherapie erläutert werden. Die salutogenetische Denkweise wird vor allem auch in der Gesundheitsförderung eingesetzt. Sie betrachtet Gesundheit nicht als Ziel, sondern als Mittel, um Individuen zu befähigen, individuelles und gesellschaftliches Leben positiv zu gestalten. Es geht um die Stärkung von Kompetenzen, Eigenverantwortlichkeit und Selbsthilfefähigkeit von Personen und Gruppen. Der Einfluss des ressourcenorientierten Denkens auf die Psychotherapie ist eng mit dem Selbstverständnis der Psychotherapie (und der Psychotherapeuten) verbunden.

Das salutogentische Denken stellt eine Herausforderung für die klassische Psychotherapie dar. Sie fordert uns heraus, die Aspekte der Ressourcenaktivierung zu diskutieren, unser Menschenbild zu überprüfen, zeitgemäße Gesundheits- und Krankheitsbegriffe zu definieren, den Lebenskontext und das Umfeld unserer Klienten in die Therapie einzubeziehen, unsere Behandlungsstrategien und Ziele der Psychotherapie zu evaluieren, und das auf Vergangenheitsbewältigung orientierte Vorgehen durch ein auf Zukunft orientiertes zu ergänzen. Das Konzept der Salutogenese ist für die Psychotherapie und ihre Psychotherapeuten insofern hilfreich, als es die Psychotherapieschulen auffordert, ihre Theorien und Konzepte zu überprüfen. Die bisherigen Forschungen zu einem allgemeinen Modell der Psychotherapie weisen der Ressourcenaktivierung als Wirkfaktor für die Verbesserung beim Patienten eine zentrale Stellung zu. Die humanistischen Therapien kommen dem salutogenetischen Konzept recht nahe.