Archive for Mai, 2025

Zugang zum Facharzt nur über den Hausarzt

Einlass nur mit Vorhersehung – Der Hausarzt als Türsteher der Republik“

Was früher der Engel mit dem flammenden Schwert am Osttor des Paradieses war, das ist heute der Hausarzt im Wartezimmer der Hoffnung: Türsteher, Gatekeeper, Hüter der kassenärztlichen Schwelle.

Die neue Gesundheitsministerin – ihres Zeichens Fachfremde, aber politisch folgsam wie ein Stationsarzt unter Chefarztaufsicht – verkündet: „Weniger Verwaltung, mehr Steuerung!“ Und wie steuert man ein überlastetes System am besten? Indem man mehr Schilder aufstellt. Am besten solche mit der Aufschrift: „Zugang nur über Hausarzt – spontane Erkrankungen bitte langfristig anmelden.“

Nun also Gatekeeping. Ein Begriff, der klingt wie eine mittelalterliche Zunft – und sich auch so verhält. Wer Husten, Rücken oder Haut hat, muss erst die heilige Schwelle der Allgemeinmedizin überschreiten, um mit viel Glück – und einem Stapel Überweisungsscheinen – vielleicht irgendwann einem Dermatologen gegenüberzusitzen. Mit etwas Pech sieht man vorher den Sensenmann.

Die Ministerin meint: Das System soll entlastet werden. Die Hausärzte hingegen murmeln: „Wir sind längst voll.“ Und die Fachärzte schütteln den Kopf, wenn sie ihn denn noch heben können vor lauter Akten, Formularen und nicht abgerechneten Leistungen.

Das eigentliche Gatekeeping, meine Damen und Herren, findet längst woanders statt: am Schreibtisch des Jungmediziners, der sich fragt, ob er sich das antut – Kassenzulassung, Regresse, 13-Stunden-Tage für einen Punktwert, der nach unten korrigiert wird wie der Bildungsstand der Gesundheitspolitik.

Die Wahrheit ist einfach: Die Türen sind nicht verschlossen – sie wurden ausgehängt. Es zieht.
Ein System, das sich durch Abschottung retten will, hat längst aufgehört zu heilen.

Aktueller denn je! – Gesundheiten

Ist das Gegenteil von Krankheiten „Gesundheiten“? – Im Ernst, wieso gibt es den Gegensatz nur im Singular? Krankheit – Gesundheit, klar, aber warum wird von Krankheiten, nicht aber von Gesundheiten gesprochen. Ich vermute mal, wir sind alle gesund genug, um zu erkennen, dass es eine Vielzahl unterscheidbarer Krankheiten gibt. Aber sind wir auch nur ausreichend gesund genug, um das krank machende Agens, die Kränkung, hinter der Erkrankung zu begreifen?
Die Ausdrucksformen der Kränkung – hier gibt es wieder einen Plural – die Kränkungen sind vielfältig. Aber die große Kränkung unserer Zeit liegt meines Erachtens in der industrialisierten Durchsetzung der Vorstellung von einem „guten Leben“, dem eine Auffassung vom Glück zugrunde liegt, das gemäß seinem berechenbaren Nutzen erstrebt wird. Wo bleibt da das Menschliche und das Zwischenmenschliche, wenn nur der Ökonomie des Nutzen gehuldigt wird?
Gerade auch in der Psychotherapie empfinde ich es als bedenklich, ja entwürdigend, wenn im Optimierungswahn Operationalisierung und Manualisierung, wenn Kostendämpfung, Kürzung, und eine absurde Form der Dokumentationspflicht den Therapeuten zwingen wollen aus dem Patienten, dem einzelnen, einzigartigen Menschen, ein konfektionierbares Etwas zu machen, das der Kosten-Nutzenrechnung unterliegt.
Oft sind es Jahre und Jahrzehnte, die leidvoll zu einem Muster geronnen sind. Da bedarf es Geduld beim Therapeuten und Patienten, bis sein bisher Ge- und Erduldetes kognitiv und emotional und sozial aufgearbeitet sind.
Keinesfalls jedoch braucht es des von der Gesellschaft  geforderten Tempos:

·         Schnelle und zügige Kurzzeittherapie – muss ja bezahlbar sein, sagen die Kassen

·         Schnelle und zügige Wiederherstellung der Arbeitskraft – muss ja produziert werden, sagt der Boss

·         Schnelles und zügiges Erreichen der ökonomischen Eingliederung ins Erwerbsleben – die Rente muss ja sicher sein, sagt der Staat

·         Schnelles und zügiges Verbrauchen der kaputtkonstruierten Überflüssigkeiten – muss ja konsumiert werden sagt die Industrie

Ist das das gute Leben?

Schafft die ratio oeconomica die Rahmenbedingungen für das angestrebte Wachstum zum Wohl des Einzelnen oder doch nur den optimierten Menschen, der letztlich zur Implosion des Systems beiträgt?

Wir bekommen, was wir geben. Oder geben wir, was wir bekommen?