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Advent im Januar

„Ich will endlich ankommen bei mir.“ Dieser Satz ist gar nicht so selten. In Erstgesprächen oder zu Anfang einer Therapie taucht er immer wieder auf.

Über da Ankommen habe ich schon einmal geschrieben, 2011 in der Adventszeit. Warum den Advent nicht mal in den Januar packen?! Am besten zu Neujahr, dem Tag, der mit guten Vorsätzen malträtiert wird: Ich höre auf mit…, ich fange an zu…, dann werde ich endlich bei mir ankommen.

Da wären wir dann wieder bei den Attraktoren. Etwas, das mir wert ist, habe ich nicht. Es mangelt mir daran. Ich will es haben, dringend, sofort. Der Wert des Fehlenden steigert sich gerade dadurch, dass er meine Gedanken in einer ständig auf sich selbst zurückweisenden Schleife gefangen nimmt: Das und das muss passieren, dann komme ich an.

Der Fehler in diesem Gedankengang, besser Gedankenkreisen, liegt in meiner Erwartungshaltung. Diese wiederum ist verknüpft mit einer Vorstellung von etwas, wie es sein sollte/könnte. Konjunktiv. Wunschdenken.

Spricht etwas gegen das Wünschen? Sind Wünsche nicht der Motor des Fortschritts. Die Produzenten hören den Gedanken sicher gern, haben sie ihn doch erfunden.

Seien wir realistisch: die Vorstellung, dass etwas nicht in Ordnung ist, ist das eigentliche Problem. Der Widerstand gegen das, was nicht in Ordnung ist, meine Begrenztheit, meine Gefangenschaft, in dem, was und wie ich bin, wirkt über den Konjunktiv als Verstärker zu einer Vorsatzbildung: der könnte ich sein. Endlich ankommen.

Aber es geht gar nicht darum etwas zu erreichen, sondern den Kontext zu untersuchen, der dazu führt, etwas sei zu erreichen, was jetzt noch nicht da ist. Ich muss den Mut haben, dem Illusionisten in mir zu begegnen, ihm ein Dialogpartner zu sein, in einen Prozess der Selbsterforschung einzu-treten. Dieser Vorgang kann allmählich zu einer Dekonstruktion des phänomenalen Selbst – Metzinger nennt es die Ich-Illusion – führen.

„Die Wirklichkeit ist nicht die Wirklichkeit. Der Übergang von der Illusion zu dem, was wirklich ist, erfordert kein Auswechseln des Inhalts, des Paradigmas, sondern der Wahrnehmung. Und so gibt es immer einen Horizont, hinter dem es weiter geht … Das eigene Innere.“

Die Quintessenz: Keine Vorsatzbildung, keine Programme, die doch nur scheitern oder Gefängnisse darstellen. Viel einfacher (wenn auch nicht leichter): Ich gestehe mir ein, dass ich an mir leide. Und dass ich gern leide, ja, denn sonst könnte ich ja damit aufhören.
Diesem Gedanken und den daraus folgenden Empfindungen und Gefühlen gebe ich mich vorbehaltlos und anhaltend hin, lange…, lange genug…

Mit den besten «Wünschen»

Hanswerner Herber

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