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Lebenszufriedenheit im Alter oder die kleinen Unvollkommenheiten

Welche Faktoren die emo­tionale Gesundheit im Alter beein­flussen und möglicherweise vor Alters­depressionen schützen können, haben Forscher des Universitäts­klinikums Ham­burg-Eppendorf untersucht. Die Ergeb­nisse sind unter dem Titel „Don’t look back in anger“ in der Fach­zeitschrift Science erschienen (DOI: 10.1126/science.1217516).

Bislang war ungeklärt, ob es eine neurobiologische Grundlage dafür gibt, warum manche Menschen gelassen reagieren und somit zufriedener altern als andere. Die Forschergruppe um Stefanie Brassen vom Institut für Systemische Neurowissenschaften ist dieser Frage in ihrer Studie nachgegangen.

 In der Versuchsanordnung spielten emotional gesunde junge und ältere Probanden sowie Patienten mit Altersdepression mehrere Durchgänge eines Glücksspiels. Bei diesem erhöht sich mit zunehmenden Risikoverhalten zwar der Gewinn, jedoch auch die Wahrscheinlichkeit zu verlieren. Mithilfe funktioneller Kernspintomographie konnten die Wissenschaftler Aktivitätsveränderungen im Gehirn der Probanden während des Spiels messen.

Entscheidend war, dass den Probanden nach einem Gewinn mitgeteilt wurde, wie viel mehr sie hätten gewinnen können, wenn sie in diesem Durchgang des Spiels mehr riskiert hätten. Danach war bei jungen Probanden und älteren depressiven Patienten auf den Bildern des Kernspintomographen zu sehen, dass das neuronale Belohnungssystem im ventralen Striatum nach dem Gewinn so wenig aktiv war, als wenn sie verloren hätten – sie ärgerten sich offenbar über die verpasste Chance.

Gesunde ältere Menschen reagierten dagegen auf Gewinndurchgänge immer mit einem Signalanstieg, unabhängig davon, ob sie noch viel mehr hätten gewinnen können oder nicht. Nur ein wirklicher Verlust führte zu einem Signalabfall.

Bereits in einer früheren Studie konnten die UKE-Forscher zeigen, dass das Frontalhirn wahrscheinlich reguliert, ob sich Menschen eher auf die positiven Aspekte des Alterns fokussieren. Das gleiche frontale Areal, der sogenannte rostrale Teil des anterioren Cingulums, war auch in der aktuellen Studie bei gesunden Älteren immer dann aktiv, wenn sie mit einer verpassten Chance konfrontiert waren. In einer unabhängigen Studie konnten die Befunde bei älteren Menschen bestätigt und mit Daten zur autonomen Reaktion gestützt werden.

„Ein gelassener Umgang mit Chancen, die man im Laufe seines Lebens verpasst hat, spielt eine entscheidende Rolle für die Lebenszufriedenheit im Alter“, folgerten die Forscher. Künftige Studien müssten nun prüfen, wie eine solche Adaptation beispiels­weise durch verhaltenstherapeutische Maßnahmen frühzeitig zu fördern sei.© hil/aerzteblatt.de

Was ich davon halte?

Mit der Schlussfolgerung gehe ich gerne konform, über die Forderung nach künftigen Studien mit der Zielsetzung der frühzeitigen Förderung kann ich nur müde grinsen.

Da halte ich es lieber mit Peter Bamm:

„Wenn ein Knabe sechszehn geworden ist, beginnt er, die Biographien großer Männer zu lesen, um ihnen ähnlich zu werden. Wenn er sechzig geworden ist, liest er die Biographien großer Männer, um festzustellen, daß sie ihm ähnlich sind. Der Knabe begeistert sich an der Vollkommenheit der großen Männer. Der alte Mann ist entzückt von ihren Unvollkommenheiten.“ … „Ganz offenbar gehören im allgemeinen Plan des Universums die kleinen Unvollkommenheiten zu den unentbehrlichen Betriebsmitteln. Die große Kunst im Leben bedeutender Männer liegt darin, daß die Laster, die sie sich anschafften, zu den Tugenden paßten, welche sie hatten.“ … „Wenn der Knabe mit sechzehn die Vollkommenheit großer Männer bewundert, weiß er noch nicht, wie viele Schlachten er in dem lebenslangen Krieg zwischen der Tugend und dem Laster verlieren wird. Wenn er dann mit sechzig weise genug geworden ist, von en kleinen Unvollkommenheiten der großen Männer entzückt zu sein, darf auch er sich mit Stolz der kleinen Vollkommenheiten erinnern, die ihm ein einem langen Leben in Siegen über sich selbst zuweilen gelungen sind. Die feinste dieser Vollkommenheiten ist das Lächeln über die kleinen Unvollkommenheiten des großen Lebens.“